Johann Wolfgang von Goethe Gedichte
Johann Wolfgang von Goethe: * 28. August 1749, Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar
Johann Wolfgang von Goethe (Liebesgedichte) Ach, wie sehn ich mich nach dir Ach, wie sehn ich mich nach dir, Kleiner Engel! Nur im Traum, Nur im Traum erscheine mir! Ob ich da gleich viel erleide, Bang um dich mit Geistern streite Und erwachend atme kaum. Ach, wie sehn ich mich nach dir, Ach, wie teuer bist du mir, Selbst in einem schweren Traum. Johann Wolfgang von Goethe (Vergänglichkeit Gedichte) Alles Vergängliche Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis; das Unzulängliche, hier wird′s Ereignis; das Unbeschreibliche, hier ist′s getan; das Ewig-Weibliche zieht uns hinan. Johann Wolfgang von Goethe (Liebesgedichte) Blick um Blick Wenn du dich im Spiegel besiehst, Denke, dass ich diese Augen küsste, Und mich mit mir selbst entzweien müsste, Sobalde du mich fliehst: Denn da ich nur in diesen Augen lebe, Du mir gibst, was ich gebe, So wär ich ganz verloren; Jetzt bin ich immer wie neugeboren. Johann Wolfgang von Goethe (Geburtstagsgedichte) Lebensregel Willst du dir ein hübsch Leben zimmern, Musst dich ums Vergangne nicht bekümmern; Das Wenigste muss dich verdrießen; Musst stets die Gegenwart genießen, Besonders keinen Menschen hassen Und die Zukunft Gott überlassen. Johann Wolfgang von Goethe (erste Liebe Gedichte) Bleibe, bleibe bei mir Bleibe, bleibe bei mir, Holder Fremdling, süße Liebe, Holde süße Liebe, Und verlasse die Seele nicht! Ach, wie anders, wie schön Lebt der Himmel, lebt die Erde, Ach, wie fühl ich, wie fühl ich Dieses Leben zum ersten Mal! Johann Wolfgang von Goethe (Abschiedsgedichte) Abschied Zu lieblich ist's, ein Wort zu brechen, Zu schwer die wohlerkannte Pflicht, Und leider kann man nichts versprechen, Was unserm Herzen widerspricht. Du übst die alten Zauberlieder, Du lockst ihn, der kaum ruhig war, Zum Schaukelkahn der süßen Torheit wieder, Erneust, verdoppelst die Gefahr. Was suchst du mir dich zu verstecken! Sei offen, flieh nicht meinem Blick! Früh oder spät musst' ich's entdecken, Und hier hast du dein Wort zurück. Was ich gesollt, hab' ich vollendet; Durch mich sei dir von nun an nichts verwehrt; Allein, verzeih dem Freund, der sich nun von dir wendet Und still in sich zurücke kehrt. Johann Wolfgang von Goethe (Gedichte Abend) Abendlied Über allen Gipfeln Ist Ruh, In allen Wipfeln Spürest du Kaum einen Hauch; Die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur, balde Ruhest du auch. Johann Wolfgang von Goethe (Abschied) An Behrisch Du gehst! Ich murre. Geh! Lass mich murren. Ehrlicher Mann Fliehe dies Land. Tote Sümpfe, Dumpfe Oktobernebel Verweben ihre Ausflüsse Hier unzertrennlich. Gebärort Schädlicher Insekten, Mörderhülle Ihrer Bosheit. Am schilfigten Ufer Liegt die wollüstige Flammengezüngte Schlange, Gestreichelt vom Sonnenstrahl. Fliehe sanfte Nachtgänge In der Mondendämmerung, Dort halten zuckende Kröten Zusammenkünfte an Kreuzwegen. Schaden sie nicht, Werden sie schrecken. Ehrlicher Mann, Fliehe das Land! II. Sei gefühllos! Ein leichtbewegtes Herz Ist ein elend Gut Auf der wankenden Erde. Behrisch, des Frühlings Lächeln Erheitre deine Stirne nie; Nie trübt sie dann mit Verdruss Des Winters stürmischer Ernst. Lehne dich nie an des Mädchens Sorgenverwiegende Brust, Nie auf des Freundes Elendtragenden Arm. Schon versammelt Von seiner Klippenwarte Der Neid auf dich Den ganzen luchsgleichen Blick. Dehnt die Klauen, Stürzt und schlägt Hinterlistig sie Dir in die Schultern. Stark sind die magern Arme, Wie Pantherarme; Er schüttelt dich Und reißt dich los. Tod ist Trennung, Dreifacher Tod Trennung ohne Hoffnung Wiederzusehn. Gerne verließest du Dieses gehasste Land, Hielte dich nicht Freundschaft Mit Blumenfesseln an mir. Zerreiß sie! Ich klage nicht. Kein edler Freund Hält den Mitgefangenen, Der fliehn kann, zurück. Der Gedanke Von des Freundes Freiheit Ist ihm Freiheit Im Kerker. Du gehst, ich bleibe. Aber schon drehn Des letzten Jahrs Flügelspeichen Sich um die rauschende Achse. Ich zähle die Schläge Des donnernden Rads, Segne den letzten, Da springen die Riegel, frei bin ich wie du! Johann Wolfgang von Goethe (Mondgedichte) An den Mond Füllest wieder Busch und Tal Still mit Nebelglanz, Lösest endlich auch einmal Meine Seele ganz; Breitest über mein Gefild Lindernd deinen Blick, Wie des Freundes Auge mild Über mein Geschick. Jeden Nachklang fühlt mein Herz Froh- und trüber Zeit, Wandle zwischen Freud' und Schmerz In der Einsamkeit. Fließe, fließe, lieber Fluss! Nimmer werd' ich froh; So verrauschte Scherz und Kuss Und die Treue so. Ich besaß es doch einmal, was so köstlich ist! Dass man doch zu seiner Qual Nimmer es vergisst! Rausche, Fluss, das Tal entlang, Ohne Rast und Ruh, Rausche, flüstre meinem Sang Melodien zu! Wenn du in der Winternacht Wütend überschwillst Oder um die Frühlingspracht Junger Knospen quillst. Selig, wer sich vor der Welt Ohne Hass verschließt, Einen Freund am Busen hält Und mit dem genießt, Was, von Menschen nicht gewusst Oder nicht bedacht, Durch das Labyrinth der Brust Wandelt in der Nacht. Johann Wolfgang von Goethe (Schöne Liebesgedichte) An Charlotte von Stein Woher sind wir geboren? Aus Lieb. Wie wären wir verloren? Ohn Lieb. Was hilft uns überwinden? Die Lieb. Kann man auch Liebe finden? Durch Lieb. Was lässt nicht lange weinen? Die Lieb. Was soll uns stets vereinen? Die Lieb. Johann Wolfgang von Goethe (Sprüche) Aphorismus Steil wohl ist er, der Weg zur Wahrheit, und schlüpfrig zu steigen, Aber wir legen ihn doch nicht gern auf Eseln zurück. Johann Wolfgang von Goethe (April Gedichte) April Augen, sagt mir, sagt, was sagt ihr? Denn ihr fragt was gar zu Schönes? Gar des lieblichsten Getönes; Und in gleichem Sinne fragt ihr. Doch ich glaub' euch zu erfassen: Hinter dieser Augen Klarheit Ruht ein Herz in Lieb' und Wahrheit, Jetzt sich selber überlassen, Dem es wohl behagen müsste, Unter so viel stumpfen, blinden, Endlich einen Blick zu finden, Der es auch zu schätzen wüsste. Und indem ich diese Chiffern Mich versenke zu studieren, Lasst euch ebenfalls verführen, Meine Blicke zu entziffern! Johann Wolfgang von Goethe (Welt Gedichte) Atmosphäre Die Welt, sie ist so groß und breit, Der Himmel auch so hehr und weit; Ich muss das Alles mit Augen fassen, Will sich aber nicht recht denken lassen. Dich im Unendlichen zu finden, Musst unterscheiden und dann verbinden. Drum danket mein beflügelt Lied Dem Manne, der Wolken unterschied. Johann Wolfgang von Goethe (Naturgedichte) Auf dem See Und frische Nahrung, neues Blut Saug' ich aus freier Welt' Wie ist Natur so hold und gut, die mich am Busen hält! Die Welle wieget unsern Kahn Im Rudertakt hinauf, Und Berge, wolkig, himmelan, Begegnen unserm Lauf. Aug', mein Aug', was sinkst du nieder? Goldne Träume, kommt ihr wieder? Weg, du Traum! so gold du bist; Hier auch Lieb' und Leben ist. Auf der Welle blinken Tausend schwebende Sterne; Weiche Nebel trinken Rings die türmende Ferne; Morgenwind umflügelt Die beschattete Bucht, Und im See bespiegelt Sich die reife Frucht. Johann Wolfgang von Goethe (Gedichte über das Leben) Bedingung Ihr lasst mich nicht, ihr bleibt dabei, Begehret Rat, ich kann ihn geben; Allein, damit ich ruhig sei, Versprecht mir, ihm nicht nachzuleben. Johann Wolfgang von Goethe (Mondgedichte) Begräbnis Ein Mägdlein trug man zur Tür' hinaus Zu Grabe; Die Bürger schauten zum Fenster heraus, Sie saßen eben in Saus und Braus Auf Gut und Habe. Da dachten sie: Man trägt sie hinaus; Trägt man uns nächstens auch hinaus, Und wer denn endlich bleibt im Haus, Hat Gut und schöne Gaben: Es muss sie doch Einer haben. Johann Wolfgang von Goethe (Gedichte über das Leben) Beherzigung Ach, was soll der Mensch verlangen? Ist es besser, ruhig bleiben? Klammernd fest sich anzuhangen? Ist es besser, sich zu treiben? Soll er sich ein Häuschen bauen? Soll er unter Zelten leben? Soll er auf die Felsen trauen? Selbst die festen Felsen beben. Eines schickt sich nicht für alle! Sehe jeder, wie ers treibe, Sehe jeder, wo er bleibe, Und wer steht, dass er nicht falle! Johann Wolfgang von Goethe (Gedichte über Angst) Beherzigung 2 Feiger Gedanken Bängliches Schwanken, Weibisches Zagen, Ängstliches Klagen Wendet kein Elend, Macht dich nicht frei. Allen Gewalten Zum Trutz sich erhalten, Nimmer sich beugen, Kräftig sich zeigen, Rufet die Arme Der Götter herbei. Johann Wolfgang von Goethe (Mutter Gedichte) Beispiel Wenn ich 'mal ungeduldig werde, Denk' ich an die Geduld der Erde, Die, wie man sagt, sich täglich dreht Und jährlich so wie jährlich geht. Bin ich denn für was Andres da? – Ich folge der lieben Frau Mama. Johann Wolfgang von Goethe (Gedichte für Lehrer) Bildung »Von wem auf Lebens- und Wissensbahne Wardst du genährt und befestet? Zu fragen sind wir beauftragt.« Ich habe niemals danach gefragt: Von welchen Schnepfen und Fasanen, Capaunen und Welschenhahnen Ich mein Bäuchelchen gemästet. So bei Pythagoras, bei den Besten, Saß ich unter zufriednen Gästen; Ihr Frohmahl hab' ich unverdrossen Niemals bestohlen, immer genossen. Johann Wolfgang von Goethe (Gedichte über den Tod) Dem Ackermann Flach bedecket und leicht den goldenen Samen die Furche, Guter! die tiefere deckt endlich dein ruhend Gebein. Fröhlich gepflügt und gesä't! Hier keimet lebendige Nahrung, Und die Hoffnung entfernt selbst von dem Grabe sich nicht. Johann Wolfgang von Goethe (Mondgedichte) Dem aufgehenden Vollmonde Willst du mich sogleich verlassen? Warst im Augenblick so nah! Dich umfinstern Wolkenmassen, Und nun bist du gar nicht da. Doch du fühlst, wie ich betrübt bin, Blickt dein Rand herauf als Stern! Zeugest mir, dass ich geliebt bin, Sei das Liebchen noch so fern. So hinan denn! hell und heller, Reiner Bahn, in voller Pracht! Schlägt mein Herz auch schmerzlich schneller, Überselig ist die Nacht. Johann Wolfgang von Goethe (Abschied Gedichte) Der Abschied Lass mein Aug den Abschied sagen, Den mein Mund nicht nehmen kann! Schwer, wie schwer ist er zu tragen! Und ich bin doch sonst ein Mann. Traurig wird in dieser Stunde Selbst der Liebe süßstes Pfand, Kalt der Kuss von deinem Munde, Matt der Druck von deiner Hand. Sonst, ein leicht gestohlnes Mäulchen, O wie hat es mich entzückt! So erfreuet uns ein Veilchen, Das man früh im März gepflückt. Doch ich pflücke nun kein Kränzchen, Keine Rose mehr für dich. Frühling ist es, liebes Fränzchen, Aber leider Herbst für mich! Johann Wolfgang von Goethe (Gedichte über Wein) Der Becher Einen wohlgeschnitzten vollen Becher Hielt ich drückend in den beiden Händen, Sog begierig süßen Wein vom Rande, Gram und Sorg auf einmal zu vertrinken. Amor trat herein und fand mich sitzen, Und er lächelte bescheidenweise, Als den Unverständigen bedauernd: "Freund, ich kenn ein schöneres Gefäße, Wert, die ganze Seele drein zu senken; Was gelobst du, wenn ich dir es gönne, Es mit anderm Nektar dir erfülle?" O wie freundlich hat er Wort gehalten! Da er, Lida, dich mit sanfter Neigung Mir, dem lange Sehnenden, geeignet. Wenn ich deinen lieben Leib umfasse Und von deinen einzig treuen Lippen Langbewahrter Liebe Balsam koste, Selig sprech ich dann zu meinem Geiste: Nein, ein solch Gefäß hat, außer Amorn, Nie ein Gott gebildet noch besessen! Solche Formen treibet nicht Vulkanus Mit den sinnbegabten, feinen Hämmern! Auf belaubten Hügeln mag Lyäus Durch die ältsten, klügsten seiner Faunen Ausgesuchte Trauben keltern lassen, Selbst geheimnisvoller Gärung vorstehn: Solchen Trank verschafft ihm keine Sorgfalt! Johann Wolfgang von Goethe (Balladen) Der Erlkönig Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind; Er hat den Knaben wohl in dem Arm, er fasst ihn sicher, er hält ihn warm. Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? - Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig, mit Kron' und Schweif! - Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. -! Du liebes Kind, komm geh mit mir! Gar schöne Spiele spiel' ich mit dir, Manch' bunte Blumen sind an dem Strand, meine Mutter hat manch gülden Gewand. - Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht was Erlenkönig mir leise verspricht? - Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; In dürren Blättern säuselt der Wind. - Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn? Meine Töchter sollen dich warten schön; meine Töchter führen den nächtlichen Reihn, und wiegen und tanzen und singen dich ein. - Mein Vater, mein Vater und siehst du nicht dort Erlkönigs Töchter am düsteren Ort? - Mein Sohn, mein Sohn! Ich seh es genau! Es scheinen die alten Weiden so grau! - Ich liebe dich! Mich reizt deine schöne Gestalt; und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt. - Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an! Erlkönig hat mir ein Leids getan! - Den Vater grauset's, er reitet geschwind, er hält in den Armen das ächzende Kind, erreicht den Hof mit Müh und Not; in seinen Armen das Kind war tot. Johann Wolfgang von Goethe (Alkoholiker Trinkergedichte) Der König in Thule Es war ein König in Thule, Gar treu bis an das Grab, Dem sterbend seine Buhle Einen goldnen Becher gab. Es ging ihm nichts darüber, Er leert' ihn jeden Schmaus; Die Augen gingen ihm über, So oft er trank daraus. Und als er kam zu sterben, Zählt' er seine Städt' im Reich, Gönnt' alles seinen Erben, Den Becher nicht zugleich. Er saß beim Königsmahle, Die Ritter um ihn her, Auf hohen Vätersaale Dort auf dem Schloss am Meer. Dort stand der alte Zecher, Trank letzte Lebensglut Und warf den heil'gen Becher Hinunter in die Flut. Er sah ihn stürzen, trinken Und sinken tief ins Meer. Die Augen täten ihm sinken, Trank nie einen Tropfen mehr. Johann Wolfgang von Goethe (Sänger Gedichte) Der Sänger "Was hör' ich draußen vor dem Tor, Was auf der Brücke schallen? Lass den Gesang vor unserm Ohr Im Saale widerhallen!" Der König sprach's, der Page lief; Der Knabe kam, der König rief: "Lasst mir herein den Alten!" "Gegrüßet seid mir, edle Herrn, Gegrüßt ihr, schöne Damen! Welch reicher Himmel! Stern bei Stern! Wer kennet ihre Namen? Im Saal voll Pracht und Herrlichkeit Schließt, Augen, euch; hier ist nicht Zeit, Sich staunend zu ergötzen." Der Sänger drückt die Augen ein Und schlug in vollen Tönen; Die Ritter schauten mutig drein, Und in den Schoß die Schönen. Der König, dem das Lied gefiel, Ließ ihm zu ehren für sein Spiel, Eine goldne Kette reichen. "Die goldne Kette gib mir nicht, Die Kette gib den Rittern, Vor deren kühnem Angesicht Der Feinde Lanzen splittern. Gib sie dem Kanzler, den du hast, Und lass ihn noch die goldne Last Zu andern Lasten tragen. Ich singe, wie der Vogel singt, Der in den Zweigen wohnet; Das Lied, das aus der Kehle dringt, Ist Lohn, der reichlich lohnet! Doch darf ich bitten, bitt' ich eins: Lass mir den besten Becher Weins In purem Golde reichen." Er setzt' ihn an, er trank ihn aus. "O Trank voll süßer Labe! O wohl dem hochbeglückten Haus, Wo das ist kleine Gabe! Ergeht's euch wohl, so denkt an mich Und danket Gott so warm, als ich Für diesen Trunk euch danke." Johann Wolfgang von Goethe(Zauber Gedichte) Der Zauberlehrling Hat der alte Hexenmeister Sich doch einmal wegbegeben! Und nun sollen seine Geister Auch nach meinem Willen leben; Seine Wort' und Werke Merkt' ich, und den Brauch, Und mit Geistesstärke Tu' ich Wunder auch. Walle! Walle Manche Strecke, Dass, zum Zwecke, Wasser fließe, Und mit reichem, vollem Schwalle Zu dem Bade sich ergieße. Und nun komm, du alter Besen! Nimm die schlechten Lumpenhüllen; Bist schon lange Knecht gewesen; Nun erfülle meinen Willen! Auf zwei Beinen stehe, Oben sein ein Kopf, Eile nun und gehe Mit dem Wassertopf. Walle! Walle Manche Strecke, Dass, zum Zwecke, Wasser fließe, Und mit reichem, vollem Schwalle Zu dem Bade sich ergieße. Seht, er läuft zum Ufer nieder; Wahrlich! Ist schon an dem Flusse Und mit Blitzesschnelle wieder Ist er hier im raschen Gusse. Schon zum zweiten Male! Wie das Becken schwillt! Wie sich jede Schale Voll mit Wasser füllt! Stehe! sehe! Denn wir haben Deiner Gaben Vollgemessen! - Ach, ich merk' es! Wehe! wehe! Hab' ich doch das Wort vergessen! Ach, das Wort, worauf am Ende Er das wird, was er gewesen. Ach, er läuft und bringt behende! Wärst du doch der alte Besen! Immer neue Güsse Bringt er schnell herein, Ach! und hundert Flüsse Stürzen auf mich ein. Rein, nicht länger Kann ich's lassen; Will ihn fassen. Das ist Tücke! Ach! nun wird im immer bänger! Welche Miene! welche Blicke! O, du Ausgeburt der Hölle! Soll das ganze Haus ersaufen? Seh' ich über jede Schwelle Doch schon Wasserströme laufen. Ein verruchter Besen, Der nicht hören will! Stock, der du gewesen, Steh doch wieder still! Willst's am Ende Gar nicht lassen? Will dich fassen Will dich halten, Und das alte Holz behende Mit dem scharfen Beile spalten. Seht, da kommt er schleppend wieder! Wie ich mich nun auf dich werfe, Gleich, o Kobold, liegst du nieder; Krachend trifft die glatte Schärfe. Wahrlich! Brav getroffen! Steht, er ist entzwei! Und nun kann ich hoffen, Und ich atme frei! Wehe! wehe! Beide Teile Stehn in Eile Schon, als Knechte, Völlig fertig in der Höhe! Helft mir, ach! ihr hohen Mächte! Und sie laufen! Nass und nässer Wird's im Saal und auf den Stufen. Welch' entsetzliches Gewässer! Herr und Meister! Hör' mich rufen! - Ach, da kommt der Meister! Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, Werd' ich nun nicht los. "In die Ecke, Besen! Besen! Seid's gewesen. Denn als Geister Ruft euch nur, zu seinem Zwecke, Erst hervor der alte Meister. Johann Wolfgang von Goethe (Liebesgedichte Liebeskummer) Die Bekehrte Bei dem Glanze der Abendröte Ging ich still den Wald entlang, Damon saß und blies die Flöte, Dass es von den Felsen klang, So la la! Und er zog mich, ach, an sich nieder, Küsste mich so hold, so süß. Und ich sagte: Blase wieder! Und der gute Junge blies, So la la! Meine Ruhe ist nun verloren, Meine Freude floh davon, Und ich höre vor meinen Ohren Immer nur den alten Ton, So la la, le ralla! Johann Wolfgang von Goethe (Wintergedichte) Ein großer Teich war zugefroren Ein großer Teich war zugefroren; Die Fröschlein, in der Tiefe verloren, Durften nicht ferner quaken noch springen, Versprachen sich aber, im halben Traum: Fänden sie nur da oben Raum, Wie Nachtigallen wollten sie singen. Der Tauwind kam, das Eis zerschmolz, Nun ruderten sie und landeten stolz Und saßen am Ufer weit und breit Und quakten wie vor alter Zeit. Johann Wolfgang von Goethe (Frühlingsgedichte) Frühling über's Jahr Das Beet schon lockert Sich's in die Höh' Da wanken Glöckchen So weiß wie Schnee; Safran entfaltet Gewaltg'e Glut, Smaragden keimt es Und keimt wie Glut. Primeln stolzieren So naseweis, Schalkhafte Veilchen Versteckt mit Fleiß; Was auch noch alles Da regt und webt, Genug, der Frühling Er wirkt und lebt. Johann Wolfgang von Goethe (Jagdgedichte, Jägergedichte) Fuchs und Jäger Schwer, n Waldes Busch und Wuchse, Füchsen auf die Spur gelangen; Hält's der Jäger mit dem Fuchse, Ist's unmöglich, ihn zu fangen. Und so wäre manches Wunder Wie A B, Ab auszusprechen, Über welches wir jezunder Kopf und Hirn im Kopf zerbrechen. Johann Wolfgang von Goethe (Gedichte Abend) Abendsonne (Faust) Betrachtet, wie in Abendsonne-Glut Die grünumgebenen Hütten schimmern! Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt, Dort eilt sie hin und fördert neues Leben. O ! dass kein Flügel mich vom Boden hebt, Ihr nach und immer nach zu streben! Ich säh’ im ew’gen Abendstrahl Die stille Welt zu meinen Füßen, Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Tal, Den Silberbach in goldene Ströme fließen. Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten; Schon tut das Meer sich mit erwärmten Buchten Vor den erstaunten Augen auf. Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken; Allein der neue Trieb erwacht, Ich eile fort, ihr ew’ges Licht zu trinken, Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht, Den Himmel über mir und unter mir die Wellen. Ein schöner Traum, indessen sie entweicht! Ach, zu des Geistes Flügeln wird so leicht Kein körperlicher Flügel sich gesellen. Doch ist es jedem eingeboren, Dass sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt, Wenn über uns, im blauen Raum verloren, Ihr schmetternd Lied die Lerche singt, Wenn über schroffen Fichtenhöhen Der Adler ausgebreitet schwebt Und über Flächen, über Seen Der Kranich nach der Heimat strebt. Johann Wolfgang von Goethe (Sommergedichte) Gefunden Ich ging im Walde So für mich hin, Und nichts zu suchen, Das war mein Sinn. Im Schatten sah ich Ein Blümchen stehn, Wie Sterne leuchtend, Wie Äuglein schön. Ich wollt es brechen, Da sagt es fein: Soll ich zum Welken Gebrochen sein? Ich grub's mit allen Den Würzlein aus. Zum Garten trug ich's Am hübschen Haus. Und pflanzt es wieder Am stillen Ort; Nun zweigt es immer Und blüht so fort. Johann Wolfgang von Goethe (Schicksal Gedichte) Gesang der Geister über den Wassern Der Menschen Seele Gleicht dem Wasser: Vom Himmel kommt es, Zum Himmel steigt es, Und wieder nieder Zur Erde muss es, Ewig wechselnd. Strömt von der hohen, Steilen Felswand Der reine Strahl, Dann stäubt er lieblich In Wolkenwellen Zum glatten Fels, Und leicht empfangen Wallt er verschleiernd, Leisrauschend, Zur Tiefe nieder. Ragen Klippen Dem Sturz entgegen Schäumt er unmutig Stufenweise Zum Abgrund. Im flachen Bette Schleicht er das Wiesental hin, Und in dem glatten See Weiden ihr Antlitz Alle Gestirne. Wind ist der Welle Lieblicher Buhler; Wind mischt vom Grund aus Schäumende Wogen. Seele des Menschen, Wie gleichst du dem Wasser! Schicksal des Menschen, Wie gleichst du dem Wind! Johann Wolfgang von Goethe (Kurze Liebesgedichte) Gleich und gleich Ein Blumenglöckchen Vom Boden hervor War früh gesprosset In lieblichem Flor; Da kam ein Bienchen Und naschte fein: - Die müssen wohl beide Füreinander sein. Johann Wolfgang von Goethe (traurige Liebesgedichte) Heidenröslein Sah ein Knab' ein Röslein stehn, Röslein auf der Heiden, War so jung und morgenschön, Lief er schnell es nah zu sehn, Sah's mit vielen Freuden. Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden. Knabe sprach: ich breche dich, Röslein auf der Heiden! Röslein sprach: ich steche dich, Dass du ewig denkst an mich, Und ich will's nicht leiden. Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden. Und der wilde Knabe brach 's Röslein auf der Heiden; Röslein wehrte sich und stach, Half ihr doch kein Weh und Ach, Musst' es eben leiden. Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden. Johann Wolfgang von Goethe (Herbstgedichte) Herbstgefühle Fetter grüne, du Laub, Am Rebengeländer Hier mein Fenster herauf! Gedrängter quellet, Zwillingsbeeren, und reifet Schneller und glänzend voller! Euch brütet der Mutter Sonne Scheideblick, euch umsäuselt Des holden Himmels Fruchtende Fülle; Euch kühlet des Mondes Freundlicher Zauberhauch, Und euch betauen, ach! Aus diesen Augen Der ewig belebenden Liebe Vollschwellende Tränen. Johann Wolfgang von Goethe (Gedichte über die Jagd) Jägers Abendlied Im Felde schleich ich still und wild, Gespannt mein Feuerrohr. a schwebt so licht dein liebes Bild, Dein süßes Bild mir vor. Du wandelst jetzt wohl still und mild Durch Feld und liebes Tal, Und ach, mein schnell verrauschend Bild, Stellt sich dirs nicht einmal? Des Menschen, der die Welt durchstreift Voll Unmut und Verdruss, Nach Osten und nach Westen schweift, Weil er dich lassen muss. Mir ist es, denk ich nur an dich, Als in den Mond zu sehn; Ein stiller Friede kommt auf mich, Weiß nicht, wie mir geschehn. Johann Wolfgang von Goethe (Nachtgedichte) Künstlers Abendlied Ach, dass die innre Schöpfungskraft Durch meinen Sinn erschölle! Dass eine Bildung voller Saft Aus meinen Fingern quölle! Ich zittre nur, ich stottre nur, Und kann es doch nicht lassen; Und fühl, ich kenne dich, Natur, Und so muss ich dich fassen. Bedenk ich dann, wie manches Jahr Sich schon mein Sinn erschließet, Wie er, wo dürre Heide war, Nun Freudenquell genießet; Wie sehn ich mich, Natur, nach dir, Dich treu und lieb zu fühlen! Ein lustger Springbrunn wirst du mir Aus tausend Röhren spielen. Wirst alle meine Kräfte mir In meinem Sinn erheitern Und dieses enge Dasein Johann Wolfgang von Goethe (Geburtstagsgedicht) Kurzes Geburtstagsgedicht von Goethe Dem schönen Tag sei es geschrieben Oft glänze dir sein heiteres Licht. Uns hörest du nicht auf zu lieben, Doch bitten wir: Vergiss uns nicht. Johann Wolfgang von Goethe (Liebesgedichte) Liebhaber Ich wollt', ich wär' ein Fisch, So hurtig und frisch; Und kämst du zu anglen, Ich würde nicht manglen. Ich wollt', ich wär' ein Fisch, So hurtig und frisch. Ich wollt', ich wär' ein Pferd, Da wär' ich dir wert. O wär' ich ein Wagen, Bequem dich zu tragen. Ich wollt', ich wär' ein Pferd, Da wär' ich dir wert. Ich wollt', ich wäre Gold, Dir immer im Sold; Und tätst du was kaufen, Käm' ich wieder gelaufen. Ich wollt', ich wäre Gold, Dir immer im Sold. Ich wollt', ich wär' treu, Mein Liebchen stets neu; Ich wollt' mich verheißen, Wollt' nimmer verreisen. Ich wollt', ich wär' treu, Mein Liebchen stets neu. Ich wollt', ich wär' alt Und runzlig und kalt; Tätst du mir's versagen, Da könnt' mich's nicht plagen. Ich wollt', ich wär alt Und runzlig und kalt. Wär' ich Affe sogleich, Voll neckender Streich'; Hätt' was dich verdrossen, So macht' ich dir Possen. Wär' ich Affe sogleich, Voll neckender Streich'. Wär' ich gut wie ein Schaf, Wie der Löwe so brav; Hätt' Augen wie's Lüchschen, Und Listen wie's Füchschen. Wär' ich gut wie ein Schaf, Wie der Löwe so brav. Was alles ich wär', Das gönnt' ich dir sehr; Mit fürstlichen Gaben, Du solltest mich haben. Was alles ich wär', Das gönnt ich dir sehr. Doch bin ich, wie ich bin, Und nimm mich nur hin! Willst du bessre besitzen, So lass dir sie schnitzen. Ich bin nun, wie ich bin; So nimm mich nur hin! Johann Wolfgang von Goethe (Auswanderergedichte) Liedder Auswanderer Bleiben, Gehen, Gehen, Bleiben, Sei fortan dem Tücht'gen gleich; Wo wir Nützliches betreiben, Ist der wertheste Bereich. Dir zu folgen wird ein Leichtes: Wer gehorchet, der erreicht es; Zeig' ein festes Vaterland! Heil dem Führer! Heil dem Band! Du verteilest Kraft und Bürde Und erwägst es ganz genau; Giebst den Alten Ruh und Würde, Jünglingen Geschäft und Frau. Wechselseitiges Vertrauen Wird ein reinlich Häuschen bauen, Schließen Hof und Gartenzaun, Auch der Nachbarschaft vertraun. Wo an wohlgebahnten Straßen Man in neuer Schenke weilt, Wo dem Fremdling reichermaßen Ackerfeld ist zugeteilt, Siedeln wir uns an mit Andern. Eilet, eilet, einzuwandern In das neue Vaterland! Johann Wolfgang von Goethe (Wünsche Gedichte) Mädchenwünsche O fände für mich Ein Bräutigam sich! Wie schön ist's nicht da! Man nennt uns Mama; Da braucht man zum Nähen, Zur Schul' nicht zu gehen; Da kann man befehlen, hat Mägde, darf schmälen; Man wählt sich die Kleider; Nach Gusto den Schneider; Da lässt man spazieren, Auf Bälle sich führen, Und fragt nicht erst lange Papa und Mama. Johann Wolfgang von Goethe (Frühling) März Es ist ein Schnee gefallen, Denn es ist noch nicht Zeit, Dass von den Blümlein allen, Dass von den Blümlein allen Wir werden hoch erfreut. Der Sonnenblick betrüget Mit mildem, falschem Schein, Die Schwalbe selber lüget, Die Schwalbe selber lüget, Warum? Sie kommt allein. Sollt ich mich einzeln freuen, Wenn auch der Frühling nah? Doch kommen wir zu zweien, Doch kommen wir zu zweien, Gleich ist der Sommer da. Johann Wolfgang von Goethe (Liebesgedichte) Mit einem gemalten Band Kleine Blumen, kleine Blätter Streuen mir mit leichter Hand Gute junge Frühlingsgötter Tändelnd auf ein luftig Band. Zephir, nimms auf deine Flügel, Schlings um meiner Liebsten Kleid; Und so tritt sie vor den Spiegel All in ihrer Munterkeit. Sieht mit Rosen sich umgeben, Selbst wie eine Rose jung. Einen Blick, geliebtes Leben! Und ich bin belohnt genug. Fühle, was dies Herz empfindet, Reiche frei mir deine Hand, Und das Band, das uns verbindet, Sei kein schwaches Rosenband! Johann Wolfgang von Goethe (Sehnsucht Gedichte) Nur wer die Sehnsucht kennt Nur wer die Sehnsucht kennt, Weiß, was ich leide! Allein und abgetrennt Von aller Freude, Seh ich ans Firmament Nach jener Seite. Ach! der mich liebt und kennt, Ist in der Weite. Es schwindelt mir, es brennt. Mein Eingeweide. Nur wer die Sehnsucht kennt, Weiß, was ich leide! Johann Wolfgang von Goethe (heimliche Liebe) Sag ichs euch, geliebte Bäume Sag ichs euch, geliebte Bäume? Die ich ahndevoll gepflanzt, Als die wunderbarsten Träume Morgenrötlich mich umtanzt. Ach, ihr wisst es, wie ich liebe, Die so schön mich wiederliebt, Die den reinsten meiner Triebe Mir noch reiner wiedergibt. Wachset wie aus meinem Herzen, Treibet in die Luft hinein, Denn ich grub viel Freud und Schmerzen Unter eure Wurzeln ein. Bringet Schatten, traget Früchte, Neue Freude jeden Tag; Nur dass ich sie dichte, dichte, Dicht bei ihr genießen mag. Johann Wolfgang von Goethe (Alter Gedichte) Schweizeralpe War doch gestern dein Haupt noch so braun wie die Locke der Lieben, Deren holdes Gebild still aus der Ferne mir winkt; Silbergrau bezeichnet dir früh der Schnee nun die Gipfel, Der sich in stürmender Nacht dir um den Scheitel ergoss. Jugend, ach! ist dem Alter so nah, durchs Leben verbunden, Wie ein beweglicher Traum Gestern und Heute verband. Johann Wolfgang von Goethe (Seefahrt Gedichte) Seefahrt Lange Tag' und Nächte stand mein Schiff befrachtet; Günst'ger Winde harrend, dass mit treuen Freunden, Mir Geduld und guten Mut erzechend, Ich im Hafen. Und sie waren doppelt ungeduldig: Gerne gönnen wir die schnellste Reise, Gern die hohe Fahrt dir; Güterfülle Wartet drüben in den Welten deiner, Wird Rückkehrendem in unsern Armen Lieb' und Preis dir. Und am frühen Morgen ward's Getümmel, Und dem Schlaf entjauchzt uns der Matrose, Alles wimmelt, alles lebet, webet, Mit dem ersten Segenshauch zu schiffen. Und die Segel blähen in dem Hauche, Und die Sonne lockt mit Feuerliebe; Ziehn die Segel, ziehn die hohen Wolken, Jauchzen an dem Ufer alle Freunde Hoffnungslieder nach, im Freudentaumel Reisefreuden wähnend, wie des Einschiffsmorgens, Wie der ersten hohen Sternennächte. Aber gottgesandte Wechselwinde treiben Seitwärts ihn der vorgesteckten Fahrt ab, Und er scheint sich ihnen hinzugeben, Strebet leise sie zu überlisten, Treu dem Zweck auch auf dem schiefen Wege. Aber aus der dumpfen grauen Ferne Kündet leise wandelnd sich der Sturm an, Drückt die Vögel nieder auf's Gewässer, Drückt der Menschen schwellend Herz darnieder. Und er kommt. Vor seinem starren Wüten Streckt der Schiffer klug die Segel nieder; Mit dem angsterfüllten Balle spielen Wind und Wellen. Und an jenem Ufer drüben stehen Freund' und Lieben, beben auf dem Festen: Ach, warum ist er nicht hier geblieben! Ach, der Sturm! Verschlagen weg vom Glücke! Soll der Gute so zu Grunde gehen? Ach, er sollte, ach, er könnte! Götter! Doch er stehet männlich an dem Steuer; Mit dem Schiffe spielen Wind und Wellen; Wind und Wellen nicht mit seinem Herzen: Herrschend blickt er auf die grimme Tiefe Und vertrauet, scheiternd oder landend, Seinen Göttern. Johann Wolfgang von Goethe (Selbstbetrug Gedichte) Selbstbetrug Der Vorhang schwebt hin und her Bei meiner Nachbarin. Gewiss, sie lauschet überquer, Ob ich zu Hause bin. Und ob der eifersücht'ge Groll, Den ich am Tag gehegt, Sich, wie er nun auf immer soll, Im tiefen Herzen legt. Doch leider hat das schöne Kind Dergleichen nicht gefühlt. Ich seh', es ist der Abendwind Der mit dem Vorhang spielt. Johann Wolfgang von Goethe (Sommergedicht) Sommer Der Sommer folgt. Es wachsen Tag und Hitze, und von den Auen dränget uns die Glut; doch dort am Wasserfall, am Felsensitze erquickt ein Trunk, erfrischt ein Wort das Blut. Der Donner rollt, schon kreuzen sich die Blitze, die Höhle wölbt sich auf zur sichern Hut, dem Tosen nach kracht schnell ein knatternd Schmettern; doch Liebe lächelt unter Sturm und Wettern. Johann Wolfgang von Goethe (Tränen Gedichte) Trost in Tränen Wie kommts, dass du so traurig bist, Da alles froh erscheint? Man sieht dirs an den Augen an, Gewiss, du hast geweint. "Und hab ich einsam auch geweint, So ists mein eigner Schmerz, Und Tränen fließen gar so süß, Erleichtern mir das Herz." Die frohen Freunde laden dich, O komm an unsre Brust! Und was du auch verloren hast, Vertraue den Verlust. "Ihr lärmt und rauscht und ahnet nicht, Was mich, den Armen quält. Ach nein, verloren hab ichs nicht, So sehr es mir auch fehlt." So raffe denn dich eilig auf, Du bist ein junges Blut. In deinen Jahren hat man Kraft Und zum Erwerben Mut. "Ach nein, erwerben kann ichs nicht, Es steht mir gar zu fern. Es weilt so hoch, es blinkt so schön, Wie droben jener Stern." Die Sterne, die begehrt man nicht, Man freut sich ihrer Pracht, Und mit Entzücken blickt man auf In jeder heitern Nacht. "Und mit Entzücken blick ich auf, So manchen lieben Tag; Verweinen lasst die Nächte mich, Solang ich weinen mag." Johann Wolfgang von Goethe (Herbstgedichte) Über allen Gipfeln ist Ruh' Über allen Gipfeln Ist Ruh', In allen Wipfeln Spürest Du Kaum einen Hauch; Die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur! Balde Ruhest du auch. Johann Wolfgang von Goethe (Gedichte wandern und Wanderer) Wanderers Nachtlied Der du von dem Himmel bist, Alles Leid und Schmerzen stillest, Den, der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung füllest, Ach, ich bin des Treibens müde! Was soll all der Schmerz und Lust? Süßer Friede, Komm, ach komm in meine Brust! Johann Wolfgang von Goethe (Gedichte über Gott) Wär nicht das Auge sonnenhaft Wär nicht das Auge sonnenhaft, Die Sonne könnt es nie erblicken; Läg nicht in uns des Gottes eigne Kraft, Wie könnt uns Göttliches entzücken? Johann Wolfgang von Goethe (Weihnachtsgedichte) Weihnachten Bäume leuchtend, Bäume blendend, Überall das Süße spendend, In dem Glanze sich bewegend, Alt und junges Herz erregend - Solch ein Fest ist uns bescheret, Mancher Gaben Schmuck verehret; Staunend schaun wir auf und nieder, Hin und her und immer wieder. Aber, Fürst, wenn dir's begegnet Und ein Abend so dich segnet, Dass als Lichter, dass als Flammen Vor dir glänzten allzusammen Alles, was du ausgerichtet, Alle, die sich dir verpflichtet: Mit erhöhten Geistesblicken Fühltest herrliches Entzücken. Johann Wolfgang von Goethe (Gedichte Narren) Zum Narren gemacht Wer sich selbst vor dem Andern gemacht hat zum Narren, der schäme sich nicht für das, was er tat. Er solle nur sein Selbst sich bewahren, so sehrs auch der Andre belächeln mag. Johann Wolfgang von Goethe (Neujahrsgedichte) Zum neuen Jahr Zwischen dem Alten, Zwischen dem Neuen Hier uns zu freuen Schenkt uns das Glück, Und das Vergangne Heißt mit Vertrauen Vorwärts zu schauen, Schauen zurück. Stunden der Plage, Leider, sie scheiden Treue von Leiden, Liebe von Lust; Bessere Tage Sammeln uns wieder, Heitere Lieder Stärken die Brust. Leiden und Freuden, Jener verschwundnen, Sind die Verbundnen Fröhlich gedenk. O des Geschickes Seltsamer Windung! Alte Verbindung, Neues Geschenk! Dankt es dem regen Wogenden Glücke, Dankt dem Geschicke Männiglich Gut! Freut euch des Wechsels Heiterer Triebe, Offener Liebe, Heimlicher Glut! Andere schauen Deckende Falten Über dem Alten Traurig und scheu; Aber uns leuchtet Freundliche Treue; Sehet, das Neue Findet uns neu. So wie im Tanze Bald sich verschwindet, Wieder sich findet Liebendes Paar; So durch des Lebens Wirrende Beugung Führe die Neigung Uns in das Jahr. Johann Wolfgang von Goethe (Johann Wolfgang Goethe)
Wer die Menschen betrügen will, muss vor allen Dingen das Absurde plausibel machen. (Goethe) Goethe über sich selbst Vom Vater hab ich die Statur, des Lebens ernstes Führen, vom Mütterchen die Frohnatur und Lust zu fabulieren. Urahnherr war der Schönsten hold, das spukt so hin und wieder; Urahnfrau liebte Schmuck und Gold, das zuckt wohl durch die Glieder. Sind nun die Elemente nicht aus dem Komplex zu trennen, was ist dann an dem ganzen Wicht original zu nennen?
Stationen u.a.: Sohn eines kaiserlichen Rats. Jugend in Frankfurt am Main. 1768-71 Jura-Studium in Leipzig und Straßburg. 1772 Promotion zum Dr. jur. in Wetzlar. Übersiedlung nach Weimar. Bekanntschaft mit Charlotte von Stein. Ab 1776 im Staatsdienst, u.a. Staatsrat, Minister, Geheimer Rat. 1786-88 und 1790 Italienreisen. 1807 Heirat mit Christiane Vulpius. Ein Sohn. Beschäftigt sich intensiv mit Anatomie, Botanik, Zoologie, Optik, Mineralogie und Farbenlehre. Ab 1794 Freundschaft mit Friedrich Schiller. Bekanntschaft mit Johann Peter Eckermann, der sein Chronist wird. 1814-15 Neigung zu Marianne von Willemer. 1821-23 Marienbad. 1830 Tod seines Sohnes August. Beschäftigt sich auch mit Anatomie, Zoologie, Optik, Farbenlehre. Bedeutendster deutscher Dichter.
Arbeitsgebiete: Lyrik, Erzählung, Novelle, Drama
Auszeichnungen/Ehrungen/Preise (Auswahl): Geadelt, Weimar (1782).
Veröffentlichungen (Auswahl): Götz von Berlingen, Drama (1773). Die Leiden des jungen Werthers, Roman (1774/2004, Patmos). Egmont, Tragödie (1788). Torquato Tasso, Schauspiel (1790). Römische Elegien, Gedichte (1795). Reinecke Fuchs (1794). Wilhelm Meisters Lehrjahre, Roman (1795). Hermann und Dorothea (1798). Faust, Tragödie (1808). Die Wahlverwandtschaften, Roman (1809). Aus meinem Leben, Dichtung und Wahrheit (1811-22). Faust, Tragödie, 2.Teil (1833). Der Zauberlehrling (1992, ars edition, mit Bildern von Karin Schliehe).
Rudolf Steiner
Goethes Weltanschauung
Goethes Stellung innerhalb der abendländischen Gedankenentwicklung
DIE PLATONISCHE WELTANSCHAUUNG
DIE FOLGEN DER PLATONISCHEN WELTANSCHAUUNG
GOETHE UND DIE PLATONISCHE WELTANSICHT
PERSÖNLICHKEIT UND WELTANSCHAUUNG
DIE METAMORPHOSE DER WELTERSCHEINUNGEN
Die Anschauungen über Natur und Entwicklung der Lebewesen
Die Betrachtung der Farbenwelt
DIE ERSCHEINUNGEN DER FARBENWELT
Gedanken über Entwicklungsgeschichte der Erde und Lufterscheinungen
GEDANKEN ÜBER ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DER ERDE
BETRACHTUNGEN ÜBER ATMOSPHÄRISCHE ERSCHEINUNGEN
Lebenslauf Goethe chronologische Übersicht Name: Johann Wolfgang von Goethe Geboren am: 28.08.1749 Geburtsort: Frankfurt am Main Vater: J. Kaspar Goethe Mutter: Katharina Elisabeth Textor Geschwister: Eine Schwester, Cornelia, geboren 1750, gestorben 1777 Er lernte unter anderem:
Goethe Lebenslauf
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Griechisch |
Reiten |
Latein |
Fechten |
Hebräisch |
verschiedene Instrumente zu spielen |
Studium: Ab 1765 Jura in Leipzig und Straßburg Ab 1771: Arbeit als Rechtsanwalt in Frankfurt 1775: Goethe wird von Herzog Karl August an den Weimarer Hof gebeten. Arbeit im Finanzwesen, später Leiter des Hoftheaters 1782: Goethe bekommt von Kaiser Joseph II den Adelstitel verliehen 1786/ 87: Reise nach Italien, das Trauerspiel „Egmont“ wird fertig gestellt 1793: Der Anfang einer großen Freundschaft mit Friedrich Schiller, ein wichtiges Jahr im Lebenslauf Goethe. Man kann davon ausgehen, dass die beiden Dichter und Denker sich gegenseitig inspirierten. 1806: Eheschließung mit der langjährigen Lebensgefährtin Christiane Vulpius, Faust 1 erscheint. Sein berühmtes Werk wird der Öffentlichkeit vorgestellt und publiziert. 1807: Arbeit an „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ 1811: Goethe stellt seine Biografie „Dichtung und Wahrheit“ fertig 1816: Goethes Ehefrau Christiane verstirbt, er zieht sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurück und gibt die Arbeit als Theaterleiter auf 1821: Die Urfassung von „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ wird fertig gestellt 1831: Goethe beendet den 2. Teil seiner Tragödie „Faust“ 22.03.1832: Goethe stirbt in Weimar