das goldene Zeitalter – Ovid

 



aurea aetas - das goldene zeitalter


Aurea prima sata est aetas, quae vindice nullo,
 sponte sua, sine lege fidem rectumque colebat.
 Poena metusque aberant, nec verba minantia fixo
 aere legebantur, nec supplex turba timebat
 iudicis ora sui, sed erant sine vindice tuti.
 Nondum caesa suis, peregrinum ut viseret orbem,
 montibus in liquidas pinus descenderat undas,
 nullaque mortales praeter sua litora norant.
 nondum praecipites cingebant oppida fossae.
 Non tuba directi, non aeris cornua flexi,
 non galeae, non ensis erant. (…)

A)
 Das erste, goldene Zeitalter entstand, das ohne Richter (w.: als es keinen Richter gab), aus eigenem Antrieb [und] ohne Gesetz die Redlichkeit und das Gute bewahrte. Strafe und Angst gab es nicht (w.: Strafe und Angst fehlten), weder wurden drohende Worte auf eherner Gesetzestafel gelesen noch fürchtete die flehende Menge den Urteilsspruch ihres Richters, sondern sie waren ohne Richter sicher. Eine gefällte Fichte war noch nicht von ihren Bergen in die fließenden Wellen herabgestiegen, damit sie ein fremdes Land aufsuchte, und die Sterblichen kannten nichts außer ihren (eigenen) Küsten.
 Noch keine steil abfallenden Gräben umgaben die Städte (w.: Steil abfallende Gräben umgaben die Städte noch nicht).
 Es gab keine Trompete, keine Hörner, keine Helme [und] kein Schwert (w.: Trompete, (…) waren nicht).







B)
 Unter einem Paradies versteht man allgemein einen Zustand, der nichts Negatives beinhaltet. Dies trifft auf das im Text dargestellte „goldene Zeitalter“ (Z.1) zu: Es existieren keine Kriminalität und keine Zerstörung, da die Menschen freiwillig auf eine friedliche Art und Weise zusammenleben (Z.1/2) und keinen Krieg führen. Insbesondere bleibt auch die Natur unzerstört, da sie nicht durch Kriege (Z.9) oder angestrebte Entdeckungsfahrten (Z.6/7) belastet wird.
 Und allein die Tatsache, dass die Menschen nichts als ihr eigenes Land kennen (Z.8), spricht dafür, dass der dort vorherrschende Zustand für sie derart paradiesisch ist, dass sie ihm nicht einmal kurzfristig entfliehen wollen.

 

Ovid

(Publius Ovidius Naso)

Geboren am 20. 3. 43 v. Chr. in Sulmo (heute Sulmona, etwa 120 km östlich von Rom); gestorben um 17 n. Chr. Tomi (dem heutigen rumänischen Constanta am Schwarzen Meer).

Ovid gehörte durch Geburt dem alten italischen Landadel an. Als Sohn wohlhabender Eltern studierte er bei den angesehensten Lehrern der Rhetorik; der ehrgeizige Vater eröffnete ihm den Weg zur Senatorenlaufbahn. Ovid machte aber keinen Gebrauch davon, er gehörte nur einem nicht näher bekannten Dreimännerkollegium an, war ferner wegen seiner guten juristischen Kenntnisse Mitglied des Centumviralgerichtshofs und Einzelrichter in Zivilsachen; seine Abkehr von der Politik begründete er schließlich mit schwacher Gesundheit und Unfähigkeit zu angestrengter Arbeit – er verkehrte lieber in Dichterkreisen, war mit Sextus Propertius befreundet, veröffentlichte seine ersten Gedichte, »als er noch kaum ein- oder zweimal rasiert ist«. Sein großes Thema ist die Liebe.

Im Jahre 8 n. Chr. wird er plötzlich durch kaiserliches Edikt ohne Gerichtsverhandlung ans Schwarze Meer, in die tiefste Provinz verbannt; über die Gründe der Verbannung gibt es nur Vermutungen. Hier entstehen Klagelieder, Poesie der Sehnsucht nach Rom, er besingt den nördlichen Winter und die Liebenswürdigkeit der Barbaren. Aber auch ein Lobgedicht auf Augustus und Tiberius brachte ihm keine Begnadigung, er starb im Exil.


Werke u.a.

  • Amores (Liebesgedichte)
  • Schönheitspflege
  • Medea (Tragödie, nicht erhalten)
  • Heroidenbriefe
  • Ars amatoria (Liebeskunst)
  • Heilmittel gegen die Liebe
  • Metamorphosen (Verwandlungen)
  • Fasti (Festkalender)
  • Tristia (Klagegedichte, Trauerlieder)
  • Epistulae ex Ponto (Briefe vom Schwarzen Meer)

Ovid – Metamorphoses (Die Lykischen Bauern)

Übersetzt von Anne Zeber und Regina Reithmeier

340

Finibus in Lyciae longo dea fessa labore
Sidereo siccata sitim collegit ab aestu
Uberaque ebiberant avidi lactantia nati.
Forte lacum mediocris aquae prospexit in imis
Vallibus: agrestes illic fruticosa legebant
345Vimina cum iuncis gratamque paludibus ulvam.
Accessit positoque genu Titania terram
Pressit, ut hauriret gelidos potura liquores.
Rustica turba vetat. Dea sic affata vetantes:
„Quid prohibetis aquis? Usus communis aquarum est.
350Nec solem proprium natura nec aera fecit.
Nec tenues undas: ad publica munera veni.
Quae tamen ut detis, supplex peto. Non ego nostros
Abluere hic artus lassataque membra parabam,
Sed relevare sitim. Caret os umore loquentis,
355Et fauces arent vixque est via vocis in illis.
Haustus aquae mihi nectar erit vitamque fatebor
Accepisse simul: vitam dederitis in unda.
Hi quoque vos moveant, qui nostro bracchia tendunt
Parva sinu“, et casu tendebant bracchia nati.
360Quem non blanda deae potuissent verba movere?
Hi tamen orantem perstant prohibere minasque,
Ni procus abscedat, conviciaeque insuper addunt.
Nec satis est: ipsos etiam pedibusque manuque
Turbavere lacus imoque ex gurgite mollem
365Huc illuc limum saltu movere maligno.
Distulit ira sitim. Neque enim iam filia Coei
Supplicat indignis nec dicere sustinet ultra
Verba minora dea; tollensque ad sidera palmas
„Aeternum stagno“ dixit „vivatis in isto!“
370Eveniunt optata deae: iuvat esse sub undis
Et modo tota cava submergere membra palude,
Nunc proferre caput, summo modo gurgite nare,
Saepe super ripam stagni consistere, saepe
In gelidos resilire lacus. Sed nunc quoque turpes
375Litibus exercent linguas pulsoque pudore,
Quamvis sint sub aqua, sub aqua maledicere temptant.
Vox quoque iam rauca est, inflataque colla tumescunt,
Ipsaque dilatant patulos convicia rictus.
Terga caput tangunt, colla intercepta videntur,
380Spina viret, venter, pars maxima corporis, albet,
Limosoque novae saliunt in gurgite ranae.

[339-381] Im Gebiet Lykiens hat die von langer Anstrengung ermüdete und von der Sonnenglut ausgedörrte Göttin Durst bekommen, und die gierigen Kinder hatten die Milch gebenden Mutterbrüste geleert. Zufällig hat sie einen See von mittelmäßigem Wasser an der tiefsten Stelle/in der Tiefe (prädikativer Gebrauch) des Tals erblickt: Die Bauern lasen dort buschige Weidenruten mit Binsen auf und den Sümpfen angenehmes Schilfgras. Die Titanin ist herangekommen und hat, nachdem sie das Knie gebeugt hatte, die Erde eingedrückt, um die eisige Flüssigkeit (poet. pl.) zu schöpfen, um zu trinken. Die bäuerliche Schar verbietet es ihr. Die Göttin hat die Verbietenden so angesprochen: Was haltet ihr mich vom Wasser ab? Der Nutzen des Wassers ist gemein, [350] die Natur hat weder die Sonne, noch die Luft (poet. pl.), noch die flachen Wellen/das flache Wasser zu Privateigentum gemacht. Ich komme zu öffentlichen Geschenken. Ich bitte euch flehend, dass ihr mir dennoch dieses/diese Dinge gebt. Ich werde mich nicht anschicken, hier unsere Glieder und den ermatteten Körper zu waschen, sonder den Durst zu löschen. Der Mund entbehrt der Feuchtigkeit eines Sprechenden und die Kehle ist trocken und kaum ist ein Weg der Stimme in ihr. Der Trunk des Wassers wird mir ein Göttertrank sein und ich werde bekennen, dass ich das Leben zugleich empfangen habe/dass Leben zugleich empfangen worden ist. Ihr werdet mir das Leben im Wasser gegeben haben. Diese sollen auch euch bewegen, die die kleinen Arme von meiner (eigentl. unserer) Brust strecken. und zufällig strecken die Kinder die Arme (aus). [360] Wen hätten die schmeichlerischen Worte der Göttin nicht bewegen können? Dennoch fahren diese fort die Bittende abzuhalten und fügen Drohungen hinzu, wenn sie nicht in die Ferne weggehe, und darüber hinaus Schimpfworte. Und dem ist nicht genug: Und auch mit Füßen und der Hand wühlen sie selbst den See auf und bewegen durch bösartiges Hin- und Herspringen den weichen Schlamm aus der tiefsten Tiefe. Der Zorn hat den Durst verdrängt. Und schon bittet die Tochter des Königs nämlich weder die Unwürdigen, noch hält sie es aus, weiter Worte zu gering für eine Göttin zu sagen; und die flachen Hände zu den Gestirnen erhebend hat sie gesagt „Ihr sollt auf ewig in diesem Teich leben.“ [370] Die Wünsche der Göttin gehen in Erfüllung. Es erfreut/gefällt, unter Wasser zu sein, bald den ganzen Körper in dem tiefen Sumpf zu versenken, nun das Haupt hervorzustrecken, bald an der Wasseroberfläche zu schwimmen, oft oberhalb des Ufers des Teiches haltzumachen, oft in den eisigen See zurückzuspringen. Aber auch nun üben sie die schimpflichen Zungen mit Zankereien und, nachdem die Scheu vertrieben worden ist, versuchen sie, obgleich sie unter Wasser sind, unter Wasser Schlechtes zu sagen. Schon ist auch die Stimme heiser, die aufgeblähten Hälse schwellen an und die Schimpfworte selbst machen die offen stehenden Mäuler breiter. Die Rücken berühren das Haupt, die Hälse scheinen ausgelassen, [380] der Rücken ist grün, der Bauch, der größte Teil des Körpers ist weiß und in der schlammigen Tiefe springen neue Frösche umher.