Gedicht April 2017

Gedicht  April 2017

Heinrich Seidel

April

April! April!
Der weiß nicht, was er will.
Bald lacht der Himmel klar und rein,
Bald schaun die Wolken düster drein,
Bald Regen und bald Sonnenschein!
Was sind mir das für Sachen,
Mit Weinen und mit Lachen
Ein solch Gesaus zu machen!
April! April!
Der weiß nicht, was er will.

O weh! O weh!
Nun kommt er gar mit Schnee!
Und schneit mir in den Blütenbaum,
In all den Frühlingswiegentraum!
Ganz greulich ist’s, man glaubt es kaum:
Heut Frost und gestern Hitze,
Heut Reif und morgen Blitze;
Das sind so seine Witze.
O weh! O weh!
Nun kommt er gar mit Schnee!

Hurra! Hurra!
Der Frühling ist doch da!
Und kriegt der raue Wintersmann
Auch seinen Freund, den Nordwind, an
Und wehrt er sich, so gut er kann,
Es soll ihm nicht gelingen;
Denn alle Knospen springen,
Und alle Vöglein singen.
Hurra! Hurra!
Der Frühling ist doch da!

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Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Heinrich Seidel wurde als Sohn des aus Goldberg stammenden gleichnamigen evangelischen Pastors Heinrich Alexander Seidel (1811–1861) in Perlin bei Wittenburg geboren. Er studierte Maschinenbau am Polytechnikum in Hannover und seit 1866 an der Gewerbeakademie Berlin und wurde Ingenieur. Bei den Neubaubüros der Berlin-Potsdamer Bahn (1870–1872) und der Berlin-Anhaltischen Bahn (1872–1880) konstruierte er Bahnanlagen wie die Yorckbrücken und entwarf die damals in Europa einmalige Dachkonstruktion des Anhalter Bahnhofs mit einer Spannweite von 62,5 Metern. 1880 gab er sein, wie er in den Lebenserinnerungen Von Perlin nach Berlin schreibt, „sonderbares Doppelleben“ auf und widmete sich ausschließlich der Schriftstellerei.

Seidel war Mitglied im Akademischen Verein Hütte, kurz HÜTTE, mit dem Namen Frauenlob in der literarischen Gesellschaft Tunnel über der Spree und Gründungsmitglied der mecklenburgischen Landsmannschaft Obotritia, dem späteren Corps Obotritia Darmstadt.[1] Die Anfänge der Landsmannschaft Obotritia hat er in seinem Buch Von Perlin nach Berlin als Leberecht Hühnchen beschrieben. Unter dem Pseudonym Johannes Köhnke wirkte er neben Julius Stinde (Pseudonym Theophil Ballheim), Johannes Trojan und anderen im Allgemeinen Deutschen Reimverein (ADR) mit.

Der berühmte Spruch „Dem Ingenieur ist nichts zu schwer“ ist sein Motto gewesen und erste Zeile seines ‚Ingenieurlieds‘ von 1871.[2]

Heinrich Seidel hatte ein besonderes Hobby: Er pflegte von seinen Reisen reichlich Samen fremdartiger Gewächse mitzubringen, um sie in Berlin oder auch anderen Orten (zum Beispiel Zimbelkraut, ein Wegerichgewächs, in Doberan) wieder auszusetzen. Einige Straucharten haben den Ortswechsel gut überlebt und zählen heute zum natürlichen Bestand der Berliner Flora.

1875 heiratete Seidel Agnes Becker (1856–1917), die Tochter eines Hamburger Kaufmanns. Mit ihr hatte er drei Söhne. Der älteste, Heinrich Wolfgang Seidel, der seine Cousine, die Lyrikerin Ina Seidel, heiratete, wurde später ebenfalls ein bekannter Schriftsteller. Der Pate des jüngsten Sohnes Helmuth Seidel war Helmuth Karl Bernhard von Moltke, den am 2. November 1800 Heinrich Seidels Urgroßvater in Parchim getauft hatte. In Berlin wohnte Seidel zuerst im Haus des Senators a.D. Dr. Karl Eggers (dem Bruder von Friedrich Eggers) in der Straße Am Karlsbad 11 in Berlin-Tiergarten und von 1895 bis zu seinem Tod durch Magenkrebs im Jahr 1906 im eigenen Haus in der Boothstraße 29 in der Berliner Villenkolonie Lichterfelde. Dort fühlte sich Seidel besonders heimisch: „Ein Ort so schön wie ein Gedicht“.

Das Ehrengrab von Heinrich Seidel befindet sich an der Westmauer des Friedhofs Lichterfelde in der Moltkestraße 42.

Künstlerisches Schaffen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das bekannteste Werk Heinrich Seidels ist das Buch Leberecht Hühnchen, das aus mehreren Episoden besteht, die zwischen 1880 und 1893 entstanden. Das Buch ist auch heute noch erhältlich und hat durch die Beschreibung einfachen Glücks viele Leser gefunden. Die Titelfigur Leberecht Hühnchen ist ein Studienfreund des Ich-Erzählers, der wie Seidel Ingenieur ist. Hühnchen lebt mit seiner leicht behinderten Frau und zwei Kindern in bescheidenen Verhältnissen, aber er „kennt die Kunst, glücklich zu sein“. Unter anderem wird ein „Festessen“ beschrieben, bei dem sämtliche 15 geernteten Trauben feierlich verzehrt werden. In einer späteren Episode verliebt sich der Erzähler in Hühnchens Tochter Frieda. Weitere Kapitel schildern die Hochzeit der beiden Protagonisten, Geburt eigener Kinder und Tod der Tochter des Erzählers und Friedas. Leberecht Hühnchen tritt hier in den Hintergrund, seine Wesensart dient aber weiterhin als Leitmotiv. Hühnchens Idyll ist geprägt von seiner Unabhängigkeit und seiner Bescheidenheit. So scheint er vor den Gefahren der Moderne, die durch die molochartige Ausdehnung der Stadt Berlin symbolisiert wird, innerlich gewappnet. Eine Randfigur ist Doktor Havelmüller, der als skurriler, gutmütiger Gelehrter dargestellt wird. Damit porträtierte Seidel seinen Freund Emil Jacobsen.

Weniger bekannt ist Seidels Roman Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande, in dem er die Erinnerungen an seine dörfliche Jugend in Perlin verarbeitete. Hier findet auch seine „Muttersprache“, das Plattdeutsche, stärkere Verwendung als in anderen Werken.

Hoch geschätzt wurden Seidels Märchen und seine Autobiographie Von Perlin nach Berlin, vor allem von seinen Schriftstellerkollegen Stinde, Trojan, Stettenheim und anderen. Darüber hinaus schrieb er zahlreiche Gedichte.

In Seidels Erzählung Im Jahre 1984 schildert er die wundersame Reise des Gottlieb Nothnagel in das Jahr 1984 – eine Maschinenwelt der automatischen Restaurants und außerordentlich schnellen interkontinentalen Verkehrsverbindungen, bevölkert von Menschen, die höchst individuelle Kleidung tragen.

Werke (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Ingenieurlied, 1871
  • Aus der Heimat, Novellen, 1874
  • Vorstadtgeschichten, 1880
  • Drei Klänge sind’s, 1880
  • Leberecht Hühnchen, Jorinde und andere Geschichten, 1882
  • Im Jahre 1984, 1884
  • Neues von Leberecht Hühnchen und anderen Sonderlingen, 1888
  • Natursänger, 1888
  • Leberecht Hühnchen als Großvater, 1890
  • Sonderbare Geschichten, 1891
  • Von Perlin nach Berlin, Lebenserinnerungen, 1894, überarbeitete Neuausgabe 2006
  • Kinkerlitzchen, 1895
  • Leberecht Hühnchen (Gesamtausgabe), 1901, Neuausgabe im Insel Verlag, ISBN 3-458-32486-0
  • Heimatgeschichten (Gesamtausgabe), 1902
  • Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande (3 Bde.), 1900–1906
  • Gesammelte Schriften, (20 Bde.) 1889–1907
  • Erzählende Schriften, (7 Bde.) 1899–1900
  • Gesammelte Werke, (5 Bde.) 1925

Briefe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 18 Briefe und Karten Heinrich Seidel an Paul Warncke 24. Oktober 1896 bis 26. Juli 1902 [3]
  • 13 Briefe Heinrich Seidel an verschiedene Empfänger 12. November 1870 bis 9. Januar 1905[4]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Christian Ferber: Die Seidels, Geschichte einer bürgerlichen Familie 1811-1977. DVA, Stuttgart 1979 (Christian Ferber ist das Pseudonym von Georg Seidel, geb. 1919, Sohn von Heinrich Wolfgang Seidel und Ina Seidel und damit Enkel des Heinrich Seidel)
  • Friedrich Mülder: Heinrich Seidel. … Wie er ein Poet und Ingenieur gewesen … Ein Lebensbild. Von Bockel, Hamburg 1997. (= Schriftenreihe Mecklenburger Profile; 3) ISBN 3-928770-76-4
  • Heinrich Wolfgang Seidel: Erinnerungen an Heinrich Seidel. Mit ungedruckten Briefen, persönlichen Aufzeichnungen und Mitteilungen aus dem Nachlass. Cotta, Stuttgart/Berlin 1912
  • Zwischen Perlin und Berlin – Leben, Werk und Wirkung des mecklenburgischen Ingenieurs und Schriftstellers Heinrich Seidel (1842–1906). Eine Würdigung zu seinem 155. Geburtstag. Herausgegeben vom Freundeskreis Heinrich Seidel Schwerin e.V., Schwerin 1997

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

 Wikisource: Heinrich Seidel – Quellen und Volltexte
 Commons: Heinrich Seidel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien